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Gastronomie als Retterin der Innenstadt?

Claudia Moll • 17. Mai 2023

Wie (Kultur-)Tourismus, Politik und Verwaltung gemeinsam Gastronomie-Management betreiben können


2023, New City – Leere Schaufenster und lustlose Gesichter in der Fußgängerzone - die Schurken „Black Friday“ und „SARS CoV 2“ hinterließen eine Welle der Verwüstung in New City. Doch keine Angst, aus den trostlosen Gassen hat sich eine neue Superheldin erhoben: GASTRO GUARDIAN. Sie wird die Ordnung in unserer geliebten City wiederherstellen. Oder etwa nicht?


Die Gastronomie als Heldin? Das hätte es früher nicht gegeben, trat sie doch im Schatten des stationären Handels eher zurück. Fangen wir daher am Anfang der Geschichte an: Warum ist die Gastronomie derzeit in aller Munde, wenn es um zukunftsfähige (Innen-)Stadtentwicklung geht? Das sind die wichtigsten Entwicklungen der letzten Jahre:


  1. Der Onlinehandel: Der stationäre Handel muss sich derzeit neu erfinden und das führt vielerorts zu Leerstand in den Innenstädten. Derweil sorgt die Gastronomie als Erlebnisort, temporäre Zwischennutzung oder dauerhaftes Mischkonzept als Frequenzbringer in den Innenstädten. Deshalb wird die Gastronomie oft als „neuer Handel“ bezeichnet.
  2. Die Corona-Pandemie: Während die Gastronomie in der Krise selbst noch als systemirrelevante Verliererin dastand, wurde kurz darauf ihre Funktion als „sozialer Kleber“ gefeiert. Heute nutzen wir Gastronomien gerne privat für Freizeit, Genuss und Erlebnis sowie beruflich für Co-Working oder informelle Meetings.
  3. Die Innenstadt als „Dritter Ort“: Bedingt durch die obigen Faktoren gibt es aktuell einige Förderprogramme zur Stärkung von Innenstädten und lebendigen Zentren[1][2], sowie Initiativen zur Entwicklung als „Dritter Ort[3]. Als zentral gelegener Anziehungspunkt für die Bürger*innen und Besucher*innen einer Stadt, zeichnet sich die Innenstadt als Dritte Ort durch ihren niedrigschwelligen und möglichst barrierefreien Zugang, sowie den Mix verschiedener Funktionen und Nutzungen aus, die zum Verweilen und Mitmachen anregen. Dabei spielt die Gastronomie eine zentrale Rolle. Das Zauberwort bzw. die beiden wichtigsten Begriffe sind „Mischnutzung“ und „Erdgeschossflächen-Management“. Die Mischnutzung beschreibt die Kombination mehrerer Nutzungsbausteine wie Handel, Dienstleistung, (Kreativ-)Kultur und Gastronomie innerhalb einer Immobilie, zum Beispiel in leerstehenden Warenhäusern. Das Erdgeschossflächen-Management zielt speziell auf die besondere Funktion des Erdgeschosses: Die „Kontaktzone zwischen öffentlichem und privatem Raum“[4]. Auch hierfür eignet sich die niedrigschwellige Gastronomie besonders gut.


In dieser dunklen Stunde von New City wirft sich GASTRO GUARDIAN ihren Superhelden-Umhang um und stellt sich den fiesen Monstern der Gattung „Leerstand“ mit ihren belebenden Superkräften.


Du fragst dich, was genau die Gastronomie zu solchen Heldentaten befähigt? Wir brauchen einen differenzierteren Blick auf ihre „Superkräfte“ und deren Einsatzmöglichkeiten. Die Liste ist sicher nicht vollständig, aber vor allem hat die Gastronomie die Fähigkeiten,


  • Menschen zusammenzubringen,
  • sie sinnlich und emotional zu berühren,
  • sie mit Genuss glücklich zu machen,
  • Geschichten zu erzählen,
  • alte Erinnerungen zu wecken,
  • neue Erlebnisse zu formen und
  • kreativ und flexibel zu handeln. 


Das sind wichtige Eigenschaften für die Belebung von Innenstädten, denn: Die Innenstadt wandelt sich vom Konsum- zum Erlebnisort. Wir Menschen suchen hier nach Inspiration und emotionalen sowie sinnlichen Erlebnissen – und zwar in analoger bzw. hybrider Form. Wir sehnen uns nach sozialem Austausch in anregender Atmosphäre. 


Unter Jubel der Citizens macht sich GASTRO GUARDIAN ans Werk. Schnell sprießen tolle Konzepte aus dem Boden: Im neuen Testaurant „FLAVOURIT“ können Gründer*innen ihr Gastro-Konzept einen Monat lang unter realen Bedingungen testen und den Businessplan mit Profis anpassen. In der hippen Kaffee-Rösterei „ROAST BEANS – NOT THE PLANET“ finden Nachhaltigkeit-Workshops in gemütlicher Wohnzimmer-Atmosphäre statt. Und im neuen „GLOKAL“ am Marktplatz werden Food-Trends aus lokal produzierten Produkten interpretiert, wie die No-Avocado-Stulle mit Erbsen-Zitronenpüree.


An Trends und Ideen mangelt es der Gastronomie-Branche nicht. Die großen Megatrends im Food-Sektor bringen viel Bewegung in die Gastronomie-Landschaft. Glokales Handeln, Veganismus und Farm-to-Table sind nur einige Beispiele.


Doch beim Gastronomie-Management in einer Innenstadt geht es nicht (nur) darum, die neuesten Trends und Konzepte zu kennen und zu adaptieren. Hierbei besteht die Gefahr, dass man an der konkreten – manchmal weniger hippen oder einkommensstarken – Realität vor Ort scheitert.


Die Kunst ist, gastronomische Trends und Konzepte, potenzielle Standorte, unterschiedlichste Akteure und Interessen von Immobilienbesitzer*innen, Betreiber*innen und Nutzer*innen übereinzubringen.  


Nicht nur im Handeln selbst, sondern auch in der Kommunikation. Dafür braucht es zuerst eine gemeinsame (gastronomische) Vision. „Welche Geschichte(n) kann die Gastronomie über unsere Stadt erzählen?“ und „Wie kann ein Restaurant, ein Café oder eine Bar einen Aspekt dieser Geschichte erlebbar machen?


Spüren alle die gemeinsame Vision, stellt sich im zweiten Schritt die Frage nach geeigneten Standorten, Immobilien und dort vorhandenen Zielgruppen für die Konzepte. 


Langsam lässt die Euphorie in New City nach. Ein Gauner namens „PolyProb“ hat sich breit gemacht und ist selbst für GASTRO GUARDIAN kaum zu fassen: Das Testaurant ist wegen hoher Betriebskosten und Miete bankrott. Dem GLOKAL fehlt es an Produkten aus lokalem Anbau. Und zur nachhaltigen Kaffee-Rösterei im Gewerbegebiet will niemand mit dem Auto fahren.


Gastronomie ist eine komplexe Branche mit vielen Herausforderungen. Das wollen wir hier keinesfalls trivialisieren. Neue Perspektiven, zum Beispiel eine touristisch geprägte, können Lösungsstrategien liefern, die wir vorher nicht auf dem Schirm hatten.


Eine der wichtigsten Strategien im Gastronomie-Management ist die Standortwahl. Hier helfen klassischen Tools aus unserem kulturtouristischen Methodenkoffer, wie die Standort-, Potenzial- und Machbarkeitsanalysen.


Und abseits der Standardmethoden?


Gastronomie als Entscheidungsfaktor


Aus unserer Arbeit wissen wir: Gastronomie ist unverzichtbar für jede Reise und jeden Ausflug.


Unsere Studie, der Reisepuls Deutschland 2023 und die Grafik daraus zeigen: die Gastronomie ist die Nr. 1 der ersehnten Erlebnisse ist – noch vor den Sehenswürdigkeiten und Freizeitangeboten einer Stadt. 

ReisePuls Deutschland 2023

Weil touristische Destinationen und kulturelle Einrichtungen eine Gastronomie brauchen, damit sie für Besucher*innen attraktiv sind, denken und planen wir bei vielen unserer Projekte einen gastronomischen Baustein direkt mit, sei es das Museumscafé oder ein mobiler Food Market.


Hierbei ist das Finden von geeigneten Betreiber*innen wichtig - ein klassischer Fall von professioneller Stakeholderkommunikation. Wie das zusammen mit Gründungsförderung und Qualifizierung einhergehen kann, zeigt der Gründungswettbewerb Geschmackstalente der Dortmunder Wirtschaftsförderung.


Gastronomie-Management als Erlebnisdesign


Wir entwickeln Gastronomie aus Sicht der Destinationsentwicklung und dem Experience Design – der Königsdisziplin der touristischen Entwicklung. Was heißt das konkret?


Die Innenstadt ist ein Erlebnisraum, der sich durch ein Mosaik einzelner Erlebnisorte (Einrichtungen, Angebote, Plätze, Parks etc.) definiert. Die Gastronomie ist ein solches Angebot, oder eben gastronomisches Erlebnis. Sie ist eingebettet in die Umgebung, in der sich andere Angebote wie Kultur- und Freizeiteinrichtungen befinden, oder öffentliche Plätze. Wir kategorisieren solche (kultur-)touristischen Angebote nach

  • „Ankerangeboten“, die einen Besuch oder Tagesausflug auslösen
  • „Sidekicks“, die in Kombination das Erlebnis verstärken und
  • „Trittsteinen“, die verschiedene Erlebnisräume/ Tagesausflüge miteinander verbinden. 

 

Was heißt das für die gastronomische Konzeptentwicklung vor Ort? Ein Gastronomie-Konzept kann ein Ankerangebot sein, das in Kombination mit anderen Sidekicks zu einem Ausflug motiviert. Ein Beispiel hierfür ist eine familienfreundliche Gastronomie an einem öffentlichen (Spiel-)Platz, wo sich die Bedürfnisse nach Genuss & Spiel gut vereinen lassen. Umgekehrt kann eine Gastronomie ein bestehendes Ankerangebot, wie zum Beispiel ein Museum, als Sidekick komplettieren.


Ein Gastronomie-Konzept ist demnach niemals isoliert zu betrachten, sondern in Bezug auf seinen Standort, die dort vorhandenen Nutzergruppen und ihre jeweiligen Zeit- und Budgetrahmen.


Aus unserer Sicht geht es beim Gastronomie-Management darum, einen funktionierenden Erlebnisraum zu entwickeln, der mehr Lebensqualität für Alle schafft.


Kehren wir zurück nach New City.


Erste Zweifler in New City fragen sich: Kann GASTRO GUARDIAN unsere City wirklich retten? Oft wird Superheld*innen zu viel zugemutet und nicht selten wenden sich diese frustriert von ihren Schützlingen ab. Auch eine Superheldin wie GASTRO GUARDIAN braucht Verbündete, die sie unterstützen, und Anerkennung all jener, die sie brauchen. Also lautet die Frage: Welche Verbündeten braucht GASTRO GUARDIAN für die Erfüllung ihrer Mission?


Kurz gesamt: Kultur, Tourismus, Politik, Verwaltung und Privatleute wie Immobilienbesitzer*innen.


Die ausführlichere Antwort: Immer mehr kommunale Akteure aus der Verwaltung beschäftigten sich mit Gastronomie-Management: die städtische Wirtschaftsförderung, das City- und Flächenmanagement, auch der*die ein oder andere Tourismusmanager*in. Eine berechtigte Frage ist, ob Politik und Verwaltung überhaupt Einfluss auf Immobilien, ihre Mieter*innen und gastronomische Konzepte nehmen können. „Lässt sich das Stadterlebnis kuratieren?“ fragte 2022 das Magazin „stadt:pilot“[5] und lieferte erste Antworten darauf, welche Rolle die öffentliche Hand in diesem Prozess einnehmen kann und sollte, nämlich als:


  • Vernetzende,
  • Initiator*innen und
  • Moderator*innen. 


Im Kulturtourismus arbeiten Politik, Kulturakteure und touristische Leistungsträger schon vielerorts zusammen. Meistens sind Vertreter*innen aus der Gastronomie und dem Gastgewerbe involviert. Gerade sie erzählen Geschichten, die gern in der B2B-Kommunikation genutzt werden, um auf die wirtschaftliche Bedeutung des Tourismus in einer Region aufmerksam zu machen.


Im Gastronomie-Management auf kommunaler Ebene besteht nun die Chance, diese Netzwerke und Strategien für die gezielte (Weiter-)Entwicklung der Gastronomie zu nutzen und damit für mehr Lebensqualität in unseren Innenstädten zu sorgen. Nutzen wir sie. 


Gibt es ein Happy End für New City & GASTRO GUARDIAN? 


Wir sind zuversichtlich. 


Wenn Du wissen willst, mit welchen Methoden wir Dir und GASTRO GUARDIAN zur Seite stehen können, schreib uns!


claudia.moll@destinet.de

 

 


 

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